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Israel gegen Iran: Keine Alternative für den Mittleren Osten?

Am 13.04. setzte der Iran seinen bereits angekündigten Rache-Angriff auf Israel in die Tat um.
Vorausgegangen war am 01.04. ein tödlicher Luftangriff Israels auf das iranische Konsulat in Syrien.
Weltweit sind alle Augen auf den Mittleren Osten gerichtet: Ist das etwa der Beginn des 3. Weltkrieges ? Gibt es keine Alternativen?

 
Wofür kämpfen beide Staaten ?

 
Gleich wenige Sekunden nach dem Angriff auf Israel war der Medienlandschaft Deutschlands klar: der barbarische iranische Staat attackiert die einzige Demokratie des Mittleren Ostens.
Keine Erwähnung fand z.B. der vorausgegangene Angriff Israels auf das iranische Konsulat in Syrien.
Fast alle imperialistischen Staaten des Westens – allen voran die USA, Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich – verfassten Kondolenzschreiben für Israel und drohten dem Iran.
Der Iran verwirklichte seinen Angriff in Zusammenarbeit mit den jemenitischen Huthis und der Hisbollah aus dem Libanon. Auch muss davon ausgegangen werden, dass der imperialistische russische Staat, der enge Verbündete des Irans, von diesem Angriff wusste.
 
Israel
 
Der israelische Staat beruht auf der Ideologie des Zionismus.
Der Zionismus war anfänglich ein religiöser Traum verschiedener europäischer Jüd:innen, wieder nach Israel auszuwandern. Mit dem Aufkommen des europäischen Nationalismus und mit Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese religiöse Vorstellung erweitert und politisiert – gewann sein politisches Programm.
Von Anfang an war der Zionismus darauf ausgelegt, die Palästinenser:innen zu vertreiben und ihnen alle ihre Rechte abzusprechen; er hat einen kolonialistischen Charakter.
Der Gründervater des modernen Zionismus, Theodor Herzl, versuchte seine Ideologie den großen westlichen Mächten schmackhaft zu machen – erst dem deutschen Reich, dann dem Vereinigten Königreich. Der Zionismus ist seit seiner Geburt er der verlängerte Arm des westlichen Imperialismus.
Wenn Israel den Iran attackiert, so muss festgehalten werden, dass er dies tut, weil seine (und somit auch die des westlichen Imperialismus) Hegemonialansprüche in Gefahr sind. Gerade jetzt, wo die USA ihren Fokus auf den indo-pazifischen Ozean gelegt hat, um sich seinem größten Kontrahenten, der VR China, zu widmen, nehmen die Konkurrenzkämpfe im Mittleren Osten offene Gestalt an.
Israel versucht durch den Angriff auf den Iran seinen Hegemonialanspruch zu untermauern.
Auch der Iran nutzt die Gunst der Stunde, Israel direkt anzugreifen. Israel stand schon lange nicht mehr so schlecht und isoliert dar, wie es aktuell der Fall ist.

Iran
 
Der Iran ist seit der islamischen Revolution 1979 eine schiitisch-muslimische Theokratie. Also ein Staat, der seine Legitimation religiös begründet.
Als Theokratie steht der Iran in demokratischen Fragen weit hinter dem bürgerlichen
Parlamentarismus. Seit 1989 steht Ali Chamenei an der Spitze dieses Staates und regiert das Land mit eiserner Faust. Rechtlich nicht anerkannte Gewerkschaften, Streiks oder Exekutionen von Kurd:innen und anderen politischen Gegnern des Systems sind keine Seltenheit.
Trotz vieler westlicher Sanktionen kann das Land auf seine vielen Bodenschätze zurückgreifen und sich so über Wasser halten.
Der Iran verfolgt die Geostrategie, eine Hegemonialmacht in der Region zu sein.
Hierbei konkurriert er mit verschiedenen Staaten wie z.B. der sunnitischen Türkei und Saudi-Arabien auf der einen Seite als aber auch Israel auf der anderen Seite.
Bedingt durch die innermuslimische Konkurrenz mit vielen sunnitischen Staaten hat der Iran weniger Staaten des Mittleren Ostens zur Auswahl, zu denen er Beziehungen aufbauen kann.
Nachdem Zerfall der Sowjetunion und der damit einhergehenden Neuaufteilung des Weltmarktes, intensivierte sich die Suche des Irans nach strategischen Partnern aus der ehemaligen Sowjetunion.
Diesen strategischen Partner fand der Iran in Russland, einem ebenfalls vom Westen isolierten Staat.
Als Teil des Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (einem politisch-wirtschaftlichen
Bündnis um China und Russland herum) ist der Iran auch ein Partner des chinesischen
Imperialismus.
 
Jin, Jiyan, Azadî
 
Nach der Ermordung der Kurdin Jina Amini 2023 durch die Sittenpolizei kam es zu einem großen Aufstand im Land. In vielen weiteren Länder der Welt solidarisierten sich Frauen mit dem Widerstand im Iran. Viele Frauen schnitten sich aus Protest die Haare ab.
Abertausende Menschen (allen voran Frauen) gingen auf die Straßen, und kämpften gegen das religiös-patriarchalische System an. Die kurdische Parole Jin, Jiyan, Azadî (Frau, Leben, Freiheit) durchdrang sämtliche Ländergrenzen.
Es kam zur revolutionären Situation in Rojhilat und im Iran, aber das Fehlen einer politischen Führung, die diese Kräfte kanalisiert, führte dazu, dass die langen Aufstände nach harten Kämpfen wieder abflachten und es hunderte von Hinrichtungen gab.
 
Willkürlich gezogene Grenzen durch den Mittleren Osten

Im Mittleren Osten änderte sich im Zuge des 1. Weltkrieges alles mit dem Sykes-Picot-Abkommen (1916) zwischen dem Vereinigten Königreich und Frankreich.
Als sich abzeichnete, dass das Osmanische Reich den Weltkrieg nicht überleben würde, teilten Frankreich und die Vereinigten Staaten das Osmanische Reich unter sich auf.
Später konkretisierten sich die künstlichen Ländergrenzen-Ziehungen in der Region mit den Verträgen von Sèvres (1920) und schlussendlich mit dem Vertrag von Lausanne (1923).
Die europäischen Großmächte zogen willkürliche Grenzen und entschieden über die Köpfe vieler ethnischer und religiöser Gruppen hinweg.
Die Konsequenz: Jahrzehntelange Unterjochung von vielen Völkern und ethnischen Gruppen.
Zum Beispiel gingen die Kurd:innen nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches gänzlich ohne einen eigenen Nationalstaat aus.
In allen vier Ländern, in denen sie hauptsächlich leben – in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien- wurden sie über ein Jahrhundert massakriert, verleugnet, assimiliert und zwangsumgesiedelt.
  
Die wirkliche Demokratie des Mittleren Ostens

 
Warum dieser historische Exkurs?
Dieses kurze Anschneiden des I. Weltkrieges und der Teilung des Mittleren Ostens ist deshalb wichtig, weil Kurdistan, das durch vier Staaten kolonialisiert wurde, heute das Potenzial zur Veränderung des gesamten Mittleren Ostens in sich birgt und das ohne einen eigenen Nationalstaat.
Wenn die Imperialisten heute unverschämt behaupten, Israel sei die einzige Demokratie der Region, so ist das nicht nur faktisch falsch, sondern dient zeitgleich dazu, den eigentlichen Grund für die Kriege zu leugnen: die Profitinteressen.
 
Israel, der über 60 offizielle Gesetze hat, die die Palästinenser:innen zu Menschen zweiten Grades degradieren, wird mitnichten ein demokratischer Staat sein.
Dies sehen wir als etwas Indiskutables an.
Mit Ausnahme einiger weniger Staaten ist das auch die weltweit vorherrschende Meinung.
Der arabische Frühling brachte einige Regimewechsel durch große Massenproteste mit sich, schaffte es aber nicht eine Revolution, die das bestehende System durch ein anderes ersetzt, hervorzubringen.
2012 haben sich die kolonialisierten Kurd:innen in den Gebieten Nordsyriens ihre politische Unabhängigkeit erkämpft. Sie bekämpften den sogenannten Islamischen Staat und fingen an, in ihren Gebieten etwas Außerordentliches zu verwirklichen – und zwar die Etablierung eines basisdemokratischen Systems.
Nach dem nach und nach weitere Gebiete Teil der autonomen Selbstverwaltung wurden, und sie somit kein primär kurdisches Projekt mehr war, musste sich die Revolution den Umständen anpassen und ein System hervorbringen, das alle ethnischen und religiösen Gruppen gleichmäßig in das System mit einbindet.
Für den Mittleren Osten, in dem es viele Gebiete mit ungeklärten nationalen Fragen gibt, ist das eine Zäsur und zugleich auch ein Hoffnungsschimmer.
Einerseits haben wir die Autonome Selbstverwaltung Nord-und Ostsyriens, die aus einem Räte-System besteht, in dem von der Kommune bis über zu Stadtteilräten und Regionalräten alle Menschen unabhängig ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit ihr Leben gestalten können. Andererseits gibt es noch zivilgesellschaftliche Organisationen wie die TEV-DEM, die dazu dienen, in Gewerkschaften die Massen zu organisieren und sie über ihre Rechte aufzuklären und Rechenschaft von der Autonomen Selbstverwaltung zu verlangen, wenn auf einer Ebene nicht ordentlich gearbeitet wird.
Alle Räte-Ebenen und Organisationen sind paritätisch, das heißt, die Co-Vorsitz Positionen sind mit mindestens einer Frau belegt. Frauen verfügen über extra Frauenräte und Frauen-Gerichte, in denen nur sie bei patriarchalem Vorgehen Entscheidungen treffen können.
Möchte man ernsthaft von einer „Demokratie des Mittleren Ostens“ reden, so ist die Autonome Selbstverwaltung Nord- & Ostsyriens ein Beispiel für Demokratie und nicht der israelische Staat.
 
Widerstand bedeutet Leben
 
Die Selbstverwaltung ist in vielerlei Hinsicht in Gefahr.
Die USA und Russland, also zwei großen Mächte, befinden sich nach wie vor in Nord- und Ostsyrien. Auch wenn ihr Hauptfokus auf dem Ukraine-Russland und USA-China Konflikt liegt, werden sich sie nicht freiwillig aus der Region zurückziehen.
Somit läuft die Selbstverwaltung Gefahr, zum Austragungsort offener und verdeckter Kämpfe beider Länder zu werden.
Auch ist der türkische Kolonialismus darauf aus, die Revolution zu liquideren.
Hierfür hat er bereits dieses Jahr über 90 Drohnenangriffe durchgeführt.
Die europäischen Staaten, aus denen sich insgesamt über 4000 Menschen dem IS angeschlossen haben, weigern sich, die notwendigen juristischen Prozesse durchzuführen – sei es die Islamisten in ihren eigenen Ländern vor Gericht zu stellen oder der Selbstverwaltung bei ihrem Angebot, ein internationales IS-Tribunat zu errichten, zu helfen.
Die Türkei und der Irak haben sich auf einen Deal geeinigt, der eine 30-40 km tiefe „Pufferzone“ für die Türkei in Südkurdistan ermöglicht. Somit soll der Guerilla ihr Rückzugort, die Medya-Verteidigungsgebiete, entzogen werden.
Der Irak hat die PKK ohne parlamentarische Zustimmung zur verbotenen Organisation erklärt.
Nach der Belagerung Südkurdistans wird sich die Türkei wieder der Revolution widmen und versuchen, sie als nächstes zu zerschlagen.
 
Sowohl das Newroz-Fest in Nord-Kurdistan, als aber auch die Wahlerfolge bei den Kommunalwahlen mit darauf folgendem Aufstand in Wan, als aber auch die Bereitschaft der Bevölkerung Nord- und Ostsyriens, ungebrochen hinter der Revolution zu stehen, zeigen, dass sich der Widerstand des kurdischen Volkes nicht brechen lässt.

Verteidigen wir die Revolution
 
Die Autonome Selbstverwaltung zeigt uns und den Völkern des gesamten Mittleren Ostens die Möglichkeit der Brüderlichkeit der Völker und die der Frauenrevolution.
Zum ersten Mal seit dem neuen Gesellschaftsvertrag Nord- und Ostsyriens gibt es eine Verfassung, in der Kurd:innen, Araber:innen, Armenier:innen, Assyrer:innen, Tscherkess:innen, Tschetschen:innen sowie religiöse Identitäten wie Muslim:innen, Christ:innen, Jüd:innen und Ezid:innen gleichberechtigt aufgeführt sind.
 
Aber nicht nur für die Völker des Mittleren Ostens hat das Überleben der Selbstverwaltung eine wichtige Bedeutung, nein auch für uns Menschen in Europa ist sie wichtig.
Die Selbstverwaltung hat mit dem heroischen Kampf gegen den IS die Solidarität vieler Menschen weltweit gewonnen. Viele fortschrittliche und solidarische Menschen zog es in das Gebiet, um für die volksnahe Revolution zu kämpfen.
Die im Kampf gefallenen zu ehren, heißt die Revolution mit allen Mitteln zu verteidigen.
Es gilt, die weltweiten Kämpfe miteinander zu verbinden und hierbei könnte die Autonome Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens das Pilotprojekt für den Mittleren Osten werden und die umliegenden Völker vom Anachronismus des monistisch-kapitalistischen Staates überzeugen.
Nur vereint können wir was bewirken.

Kongo, Jemen, Kurdistan, Arzach, Ukraine und Palästina : Organisieren wir uns, stärken wir die Solidarität zwischen den Völkern und schaffen eine lebenswerte Welt.