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Der Kampf in Deir-ez-Zor

In den letzten Wochen kam es immer wieder zu teils heftigen Gefechten in der ostsyrischen Region Deir ez-Zor, zwischen Einheiten des Assad-Regimes sowie seiner Verbündeten und den Syrisch demokratischen Kräften (SDF). Neben schweren Artillerieangriffen der syrischen Armee auf ausschließlich zivil genutzte Häuser, bei denen seit dem 7. August mindestens 14 Menschen ermordet wurden, gab es auch den erneuten Versuch einer Bodenoffensive mit schätzungsweise 400 Kämpfern. Genau wie bei einem vergleichbaren Versuch, die Selbstverwaltung über den Euphrat anzugreifen, der letztes Jahr Anfang September scheiterte, konnten auch dieses Mal die Revolutionären Kräfte die Invasion schnell abwehren. Aber was hat es mit dieser erneuten Eskalation auf sich?

Die Region Deir ez Zor 

Vor dem Beginn des Bürgerkriegs bestand das Gouvernement Deir ez-Zor aus der an der Westseite des Euphrats gelegenen Stadt Deir ez-Zor sowie dem auf beiden Seiten des Flusses gelegenen Umland. Die Region ist dank des Euphrat eine der fruchtbarsten Regionen Syriens und zudem sehr ölreich. Zwei Faktoren, die ihr eine hohe strategische Relevanz verleihen. Heutzutage ist das Gouvernement zweigeteilt; während die Stadt selbst mitsamt der gesamten Westseite des Flusses vom Regime regiert wird, kontrolliert die Selbstverwaltung die Ostseite. Die neu geschaffene „Region“ Deir ez-Zor besteht dementsprechend nur aus dem östlichen Teil des ehemaligen Gouvernements und ist neben Raqqa, Tabqa und Manbij einer der vier Regionen der Selbstverwaltung die überwiegend, oder im spezifischen Fall von Deir ez-Zor, fast ausschließlich von Araber:innen bewohnt wird. 

Eine weitere Besonderheit der Region, die noch heute tiefgreifende Auswirkungen auf das Leben vor Ort hat, ist, dass Deir ez-Zor die Region ist, die am längsten unter der Terrorherrschaft von Daesh (islamischer Staat) leben musste.  So wurde die Stadt Baghuz, als letzte Bastion des IS, erst am 23. März 2019 durch die SDF befreit, nachdem die Terrormiliz dort 5 Jahre ihr Unwesen getrieben hatte. 

Dass der Aufbau revolutionärer Strukturen in so einer Region, die erst knapp fünf Jahren befreit ist, nicht so weit fortgeschritten ist wie zum Beispiel in Derik oder Kobane, wo die Freiheitsbewegung bereits seit über 50 Jahren arbeitet, erklärt sich von selbst. Dementsprechend wird dort auch die Selbstverwaltung nicht von so breiten Teilen der Bevölkerung enthusiastisch unterstützt wie in den kurdischen Gebieten. Der Aufbau von basisdemokratischen Strukturen wird zudem durch das immer noch sehr aktive Netzwerk von Daesh-Schläferzellen erheblich erschwert. Diese ermorden nämlich gezielt zahlreiche arabische Revolutionäre und lokale Führungspersonen, die aktiv mit der Selbstverwaltung zusammenarbeiten, um den gesellschaftlichen Fortschritt in der Region zu verhindern. 

Zudem untergräbt die durch die türkischen Angriffe verursachte schwere infrastrukturelle Krise das Vertrauen von Teilen der Bevölkerung in die Selbstverwaltung. Dieses Phänomen ist jedoch bei weitem nicht auf Deir ez-Zor beschränkt und betrifft vielmehr ganz Nord- und Ost-Syrien.

Dennoch schreitet der Aufbau der Revolution auch hier immer weiter voran und je länger die Selbstverwaltung die Gebiete kontrolliert, desto größere Teile der Bevölkerung beteiligen sich auf die ein oder andere Weiße an den revolutionären Strukturen. Das Rojava Information Center beschrieb den Status quo in den arabischen Gebieten 2021 wie folgt “Despite complaints many believe the AANES is able to offer better security, humanitarian and rights conditions than any other actor in Syria, granting it time and space to keep building its political project. If it can find a balance between maintaining these standards and introducing more regional autonomy, only another Turkish invasion has the potential to disrupt gradual progress in the Arab regions.”

Das syrische Regime erhofft sich trotzdem dazu in der Lage zu sein, die Unzufriedenheit auszunutzen und gerade in Deir ez-Zor die Bevölkerung gegen die Selbstverwaltung wenden zu können. So soll dann auch ohne größeren Widerstand die ganze Region „zurückerobert“ werden. Es versucht einerseits durch Spione und Agitatoren, andererseits durch rohe militärische Gewalt die Region zu destabilisieren, mit dem Ziel, so ein Szenario herbeizuführen. 

Die Angriffe 

Am 7. August begann der syrische Staat seine neue Offensive, ihm entgegenstellten sich die Mitglieder:innen der Militärräte von Deir ez-Zor und Hajin. Diese, in jeder Region Nord und Ost Syriens existierenden, Militärräte gehören zur SDF und rekrutieren sich aus der lokalen Bevölkerung. In einer Region wie Deir ez-Zor die wie bereits erwähnt fast ausschließlich von Araber:innen bewohnt wird, besteht logischer Weiße auch der Militärrat fast nur aus Araber:innen. Es ist äußerst wichtig zu erkennen, dass es sich bei den Kämpfen in und um Deir ez-Zor weder letztes noch dieses Jahr um Kämpfe von „Kurd:innen gegen Araber:innen“ handelte, nein auf beiden Seiten stehen bei diesen Gefechten in überwältigender Mehrheit Araber:innen. 
Auch wenn das syrische Regime es gerne so darstellt, als würden sie den von der kurdischen Gewaltherrschaft unterdrückten Araber:innen helfend zur Seite eilen, handelt es sich hier nicht um einen ethnischen Konflikt. Das lässt sich allein schon an den von der SDF bekannt gegebenen Gefallenen erkennen, bei denen es sich ausschließlich um Araber handelt. 
Nein, der Konflikt wird ausgefochten zwischen Reaktionär:innen und Revolutionär:innen, das ist die Spaltungslinie, nicht die Ethnie. 

Während der vergangenen Kämpfe wurde zudem klar, auf wessen Seite die Bevölkerung Deir ez-Zor selber steht. So ließ die SDF in ihrer Pressemitteilung zu den Angriffen Folgendes bekannt geben: „Die lokale Bevölkerung, einschließlich aller Stämme und Clans, beteiligte sich aktiv am Widerstand und an der Reaktion auf die Angriffe der Söldner. Sie demonstrierten ihre unerschütterliche Unterstützung für die SDF.“ Der Versuch der Spaltung ist gescheitert. Was bleibt, ist ein weiteres Kriegsverbrechen in der unrühmlichen Geschichte des syrischen Regimes. 

„Wir werden Deir ez-Zor um jeden Preis verteidigen“, versicherte der Kommandant des Militärrats von Hajin Xebat Şiêttî. Sollte der syrische Staat seine Angriffe also in den nächsten Wochen und Monaten fortsetzen, blüht dem nächsten Invasionsversuch ein ähnliches Schicksal wie den zwei vor ihm. 

Ausblick 

Wenige Tage nach dem Angriff führte die SDF eine erfolgreiche Racheaktion auf der Westseite des Euphrats durch, bei der es ihr gelang, eine große Zahl an Waffen zu erbeuten und 20 Regimekräfte zu töten. Vorerst sieht es so aus, als hätte sich die Situation abgekühlt, aber es ist vorhersehbar, dass Assads nächster Anlauf nicht lange auf sich warten lassen wird. 
Die Annäherung zwischen Syrien und der Türkei vergrößert diesen Spielraum erheblich. Insbesondere dürfte es spannend werden, wie bei der fortschreitenden Eskalation zwischen der Selbstverwaltung und Assad mit den zahlreichen in Nord- und Ost-Syrien stationierten syrischen Soldaten umgegangen wird. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz, solange die Selbstverwaltung und ihre bewaffneten Einheiten die Bevölkerung im Rücken haben, werden sie dazu in der Lage sein, all die kommenden Angriffe mit erbittertem Widerstand zu beantworten.