Seit einigen Wochen ist der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah eskaliert. Die Golani Brigade der IDF konnte mit ihrer Bodenoffensive im Südlibanon noch nicht die gewünschten Erfolge erzielen. Dennoch konnte die IDF durch ihre absolute Luftüberlegenheit wichtige taktische Ziele erreichen, indem sie große Teile der Führungsriege der Hisbollah mit Kampfjets und Drohnen tötete. Dabei nahmen sie keine Rücksicht auf zivile Verluste und machten ganze Nachbarschaften Beiruts dem Erdboden gleich. So wurden bereits über 2000 Menschen durch israelische Angriffe getötet, die Angriffe aus der Luft machen dabei die absolute Mehrzahl der Toten aus.
Es sind auch eben diese groß angelegten Luftangriffe auf zivile Gebiete, die über eine Million Menschen zur Flucht aus dem Libanon bewegten. Für etwa 20.000 von ihnen führte die Flucht in die selbstverwalteten Gebiete von Nord- und Ostsyrien.
Demographie der Geflüchteten
Der Libanon war seit dem Ende des Zweiten Libanonkriegs 2006 ein Ort relativer Ruhe und Stabilität innerhalb des Mittleren Ostens. Dementsprechend zog er auch eine Vielzahl von Vertriebenen aus den nahegelegenen, von Kriegen zerrütteten Ländern wie Syrien und dem Irak an. Viele Menschen, die jetzt den Weg vom Libanon nach Syrien auf sich nehmen, sind dieselben, die vor einigen Jahren vor dem syrischen Bürgerkrieg in die andere Richtung geflohen waren. Auch ein Großteil der Schutzsuchenden, die in den letzten Tagen die Grenzübergänge Tabqa and Manbij überquerten, um Zuflucht in den selbstverwalteten Gebieten zu finden, sind ursprünglich aus Nord- und Ostsyrien, aber auch Menschen aus anderen Teilen Syriens und libanesische Staatsangehörige sind unter ihnen. Während die Menschen aus der Region umgehend zu ihren Familien weiterreisen dürfen, wurden für die anderen erste provisorische Lager errichtet. Diese Lager sollen den Menschen so lange Schutz bieten, bis sie entweder in den Libanon zurückkehren können, oder ein permanenter Wohnort für sie gefunden wird. Auch wenn es dazu bisher von offizieller Stelle noch keine Informationen gibt, ist davon auszugehen, dass auch in den neu errichteten Lagern, ähnlich wie in den Camps in Şehba, mit dem Aufbau demokratischer Strukturen begonnen wird, damit die Bewohner ihre Probleme selbst in die Hand nehmen und konkret ihr eigenes Leben mitbestimmen können.
Allgemeine Schwierigkeiten
Wie allen, die sich mit der Situation in Nord- und Ostsyrien auseinandersetzen, sicherlich bereits bekannt ist, ist die Lage in den Gebieten der Selbstverwaltung äußerst angespannt. Durch das Embargo und die Angriffe des türkischen Staates wird es immer schwieriger, die angemessene Versorgung aller Einwohner:innen der Region sicherzustellen. Eine genaue Analyse dieses Umstands und der dahinterstehenden Strategie des türkischen Staates würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Wir können aber die hervorragend recherchierten Beiträge des Rojava Information Centers, sowie unsere eigenen Blogartikel zu diesem Thema empfehlen, wenn sich einzelne Leser:innen tiefer damit befassen wollen.
Diese sowieso schon angespannten Voraussetzungen werden durch die Ankunft von abertausenden Menschen, die selbstverständlich nicht unmittelbar ins wirtschaftliche Leben integriert werden können, weiter verschärft. Wenn man sowieso schon Schwierigkeiten hat, die eigene Bevölkerung mit Wasser, Brot und ein bis zwei Stunden Strom am Tag zu versorgen, ist die Bewältigung einer Flüchtlingswelle kein einfaches Unterfangen. Dennoch hält die Selbstverwaltung an ihren humanitären Prinzipien fest und bekräftigt ihre Entschlossenheit, jeden Menschen, der in der Region Schutz sucht, mit offenen Armen willkommen zu heißen.
Schwierigkeiten mit den Hilfsgütern
Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, wird internationale Hilfe benötigt. Diese ist allerdings nur schwer zu bekommen, da die Selbstverwaltung von der Staatengemeinschaft nicht anerkannt ist. Internationale Hilfe geht also direkt an den syrischen Staat, nicht an die demokratische Selbstverwaltung. Syrien aber denkt gar nicht daran, diese Hilfen, die auch für den nordöstlichen Teil Syriens vorgesehen sind, an die Selbstverwaltung weiterzuleiten. Ganz im Gegenteil, er nutzt sie, um die Selbstverwaltung zu erpressen und den Druck, den die Blockade auf die Region ausübt, weiter zu erhöhen.
Um die Belieferung mit zumindest den notwendigsten Hilfsgütern, zum Beispiel zur Seuchenprävention in den bestehenden Lagern, zu ermöglichen, müssten Grenzübergänge, die Rojava mit Nachbarländern verbindet, wieder geöffnet werden. Die Grenzübergänge zur Türkei sind dabei natürlich keine Option, der türkische Staat hält nur die Übergänge zu den von ihm besetzten Gebieten Rojavas offen. Die Selbstverwaltung fordert daher, dass der 2020 geschlossene Grenzübergang zum Irak Til Koçer (arb. Yarubiyah) geöffnet wird.
Es ist Zeit für Internationale Solidarität
Auf absehbare Zeit ist die Selbstverwaltung also mit den Geflüchteten auf sich allein gestellt. Bei der Bewältigung der äußerst komplexen Aufgabe, unter solch harschen Bedingungen tausenden neuen Menschen ein würdevolles Leben zu ermöglichen, kann sie nicht auf irgendeine Hilfe von der UNO zählen. Insbesondere der nahende Winter und die mit ihm kommende Notwendigkeit, die Menschen auch mit Wärme zu versorgen, ist eine sehr aufwendige und teure Sache. Der einzige Verbündete auf den sich die Selbstverwaltung in dieser Situation verlassen kann, ist die Internationale Solidaritätsbewegung. Wir als in Europa lebende und mit dem Kampf in Nord- und Ostsyrien solidarische Menschen haben als einzige sowohl den Willen als auch die finanziellen Möglichkeiten, die Kräfte vor Ort bei den ihnen bevorstehenden Herausforderungen aktiv zu unterstützen. Der Kurdische Rote Halbmond (Heyva Sor a Kurdistanê e.V.) die führende Hilfsorganisation der Region, die die medizinische Versorgung der Camps sicherstellt, hat zu diesem Zweck bereits ein Spendenkonto eingerichtet:
BANK ACCOUNT:
Heyva Sor a Kurdistanê e.V.
Kreissparkasse Köln
IBAN: DE49 3705 0299 0004 0104 81
BIC/SWIFT: COKSDE33XXX
PAYPAL: heyvasorakurdistan@gmail.com
paypal.me/heyvasorakurdistane
Reference: Migrants from Lebanon
Auch bei der Internationalen Nothilfe sind spenden für die Winter Soforthilfe möglich:
Die Bereitschaft der Selbstverwaltung, in einer Zeit tiefer Krisen zehntausende Geflüchtete aufzunehmen ist ein Akt gelebter Internationaler Solidarität, es ist in unsere Macht diese Bemühungen durch einen weiteren Akt gelebter Internationaler Solidarität zu unterstützen.