In seinem Feldzug gegen eine jede Errungenschaft der Kurd:innen hat der türkische Kolonialismus seine Beziehungen zum Irak verbessert und erstrebt nun auch Treffen mit Syrien. Gegenstand der Verhandlungen mit dem Irak als aber auch mit Syrien sind die Kurd:innen.
Während die Türkei für seine militärische Operation in Başur den Irak und die Kollaborateure der KDP auf seine Linie ziehen konnte, versucht er indes auch den syrischen Staat im Kampf gegen die demokratische Selbstverwaltung Nord- und Ost-Syrien für sich zu gewinnen. Die Guerilla, die seit 40 Jahren den bewaffneten Kampf gegen die Türkei führt, soll nun mithilfe des Iraks, der KDP und Syriens ins Kreuzfeuer geraten. Die Ernsthaftigkeit dieser Bestrebungen lässt sich aktuell in Başurê Kurdistan beobachten – dort hat die Türkei bereits nach vorausgegangenen Bombardements mehrere Kontrollpunkte errichtet und schwere Artillerie stationiert. Laut der ortsansässigen NGO Community Peacemaker Teams (CPT) sind über 600 kurdische und christliche Dörfer von einer akuten Vertreibungsgefahr bedroht.
Der türkische Präsident, Erdogan, erwähnt vermehrt, dass Assad ihm nur einen Schritt entgegenkommen muss, damit die Türkei ihm mit mehreren Schritten entgegenkommt. Die syrischen Geflüchteten, die gegenüber der EU jahrelang als Druckmittel dienten und intern als Sündenbock der desaströsen Wirtschaft dargestellt wurden, sind für Erdogan zu einem Problem geworden. Der jahrelang gesäte Hass der Türkei gegen die Geflüchteten führte in den vergangenen Wochen zu Pogromen. Diese geschürte Wut der Bevölkerung auf die Geflüchteten richtet sich nun auch gegen die Politik Erdogans, der sich jahrelang als Freund der Geflüchteten inszenierte. Er wird versuchen, einige der Geflüchteten wieder nach Syrien zurückzuschicken und hierfür müssen die Grundlagen geschaffen werden. Die wichtigste Verhandlungsbasis -aus türkischer Sicht- wird die Demokratische Selbstverwaltung Nord- und Ost-Syrien darstellen. Die Liquidierung des basisdemokratischen Systems ist oberste Priorität für die Türkei. In Başur hat er mit der kollaborierenden KDP einen Partner gefunden, der ihn proaktiv unterstützt. Das Gegenstück der KDP für Rojava wäre der syrische Staat. Ohne zusätzliche Unterstützung hat die Türkei erhebliche Probleme, die erfahrenen und flexiblen Guerilla-Kämpfer:innen zu besiegen.
Assad scheint bis dato sehr unbeeindruckt zu sein. Die Annahme, die oft geschürt wird, Syrien hätte keinen Druck, sich der Türkei nähern zu müssen, läuft der Realität zuwider. Die Türkei hat bis zu 100.000 islamistische Söldner in Syrien, die nur darauf warten, weitere Teile Syriens zu überfallen. Selbst wenn Syrien sich mit der Türkei einigt, müssten diese Milizen sehr wahrscheinlich militärisch bekämpft werden, da sie nach dem Wegfall der Türkei auf sich gestellt sein werden. Diese Gruppen haben nach den versöhnlichen Aussagen Erdogans angefangen, türkische Fahnen zu verbrennen und ein- und ausfahrende Fahrer:innen mit türkischem Kennzeichen anzugreifen – auch als Antwort auf die Pogrome innerhalb der Türkei. Die Söldner werden sich mitnichten auf diplomatische Treffen einlassen und versuchen, ihre Machtpositionen beizubehalten. Auch wenn der Bürgerkrieg heute zwar größtenteils eingefroren ist, bleibt er nach wie vor noch ungelöst, vor allem die ökonomischen Probleme des Landes führen zu Unbehagen innerhalb der Bevölkerung. Die Tatsache, dass die temporären Angriffe zwischen der Hisbollah Libanons und Israel die Gefahr in sich bergen, die Gestalt eines größeren Kriegs anzunehmen, bedeutet für Syrien (und schlussendlich auch für die Türkei, die in Syrien als Besatzungsmacht operiert) gleich in den nächsten Krieg hineingezogen zu werden. Dies wäre in Anbetracht der bereits aufgeführten Punkte fatal. Auch die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA könnten gefährlich werden, denn bei einem Sieg Trumps, der als wahrscheinlich scheint, ist es möglich, dass die USA ihre Soldaten aus Nord-Syrien abziehen, um sich ihrem direkten Konkurrenten, der VR China, zu widmen und die Türkei könnte weitere Städte Syriens annektieren. Die Geschichte zeigt uns: Wenn sich die Türkei militärisch in fremdes Territorium begibt, zieht sie nicht wieder ab – das sahen wir im Irak, auf Zypern und zuletzt auch in Libyen. Das Einzige, was Syrien zufriedenstellen könnte, wären Verträge mit der Türkei, die durch Russland und den Iran beglaubigt werden. Die Türkei aber möchte seine Interessen mit bilateralen Verträgen durchsetzen, ohne Russland und den Iran als Vertragspartner, die bei einer Nichteinhaltung Konsequenzen mit sich bringen würden. Assads Voraussetzung für ein Treffen sind : a.) der Rückzug türkischer Truppen aus Syrien und b.) die Beendigung jedweder Unterstützung für islamistische Milizen innerhalb Syriens. Nur wenn die Türkei bereit ist, diese beiden Schritte einzuleiten, würde sich Syrien mit ihnen an einen Tisch setzen – alles andere käme einer politischen Niederlage gleich.
Streitschlichter Russland und der Irak
Befürworter der Aufnahme der bilateralen Gespräche zwischen der Türkei und Syrien sind vor allem Russland und der Irak. Hintergrund dieser Unterstützung ist, dass es sowohl Russland als aber auch den Irak entlasten würde, wenn sich die Beziehungen zwischen der Türkei und Syrien normalisieren.
Russland hat ein Interesse daran, dass sein strategischer Partner, Syrien, zu mehr Stabilität gelangt. Neben seines ökonomischen und politischen Einflusses auf den syrischen Staat, spielt auch die militärische Zusammenarbeit hierbei eine wichtige Rolle. Die russische Marinebasis in Tartus, dem Westen Syriens, ist Russlands einziger Stützpunkt zum Mittelmeer und somit von großer strategischer Bedeutung. Aus russischer Sicht ist es daher wichtig, dass die Machtfrage innerhalb Syriens geklärt wird – die Türkei hat bis zu 10% des syrischen Staates annektiert, teilweise mit eigenem Militär, teilweise durch seine islamistischen Söldnerbanden. Im Norden und Osten des Landes gibt es die demokratische Selbstverwaltung, die dem zentralistischen Staat ein Dorn im Auge ist. Auch der Ukraine-Krieg trägt seinen Beitrag dazu, dass Russland die Türkei und Syrien zu Gesprächen einlädt. Somit könnte sich Russland auf seinen eigenen Krieg konzentrieren.
Schon bei den Verhandlungen 2020 zwischen der Türkei und Syrien fungierte Russland als Vermittler. Diese Verhandlungen scheiterten kurzerhand, als 5 türkische Soldaten durch einen Angriff Syriens in Saraqib starben.
Aus irakischer Sicht ist es so, dass mach sich seit dem gemeinsamen Seidenstraßenprojekt gänzlich auf die Linie der Türkei begab. Nach Erdogans Besuch im April hat der irakische Staat – ohne parlamentarische Wahl – die PKK zur verbotenen Partei erklärt und der Türkei sein grünes Licht für den Krieg gegen die kurdische Guerilla in den Medya-Verteidigungsgebieten erteilt. Der Irak erhofft sich durch die Handelsroute einen Ausweg aus seiner ökonomischen Misere und ist gewillt, Erdogan und Assad nach Bagdad einfliegen zu lassen, um die Gespräche zu starten. Sowohl die Handelsroute als aber auch weitere Wasserprojekte zwischen beiden Staaten sind für den Irak von großer Bedeutung und dementsprechend arbeitet er der Türkei zu.
Erwähnung muss auch der Verrat der KDP finden, die dem türkischen Staat sämtliche Wünsche von den Lippen liest und der Türkei beim Transport schwerer Artillerie und dem Errichten von Militärstützpunkten erhebliche Hilfe leistet. Die Geschichte wird diesen Verrat der KDP nicht vergessen!
Die Lage der Selbstverwaltung
Bedingt durch den unmittelbar bevorstehenden Einmarsch der Türkei in Başurê Kurdistan, lässt sich voraussagen, dass die Rojava-Revolution vorerst (!) nicht das Ziel einer Bodenoffensive sein wird. Aber wenn die Kurdenfrage zum Hauptthema der Kolonialisten wird, kann davon ausgegangen werden, dass sie sich auf kurz oder lang einig werden, um den Status quo der Kolonialisierung beizubehalten. Deshalb müssen die Widerstandsvorbereitungen alsbald angegangen werden, um im Falle einer etwaigen Einigung der Türkei und Syrien nicht überrannt zu werden. Die Revolution muss erneut eine Einheit um sich herum bilden, die, wie im Widerstand gegen IS, geschlossen hinter der Revolution steht, wenn der Krieg losgeht. Die Entschlossenheit und die Opferbereitschaft von Menschen wie Ivana Hoffmann und Arîn Mirkan zeigen auf, dass sich ein Sieg nur auf diese Weise erkämpfen lässt. Vorranging aus eigener Kraft heraus kann sich die Selbstverwaltung verteidigen – sowohl gegen die Kolonialisten als aber auch gegen die Imperialisten.
Wir Menschen aus Europa müssen ebenfalls kämpfen. Dafür, dass sich die mitschuldigen imperialistischen Staaten aus diesem blutigen Krieg raushalten. Wir müssen versuchen, die fortschrittlichen Teile der Bevölkerung mit der Rojava Revolution vertraut zu machen, um auch ihre Solidarität zu gewinnen. Alle fortschrittlichen Parteien, Organisationen und Menschen müssen ihre Plätze auf den Straßen einnehmen, um einen großen politischen Druck auszuüben, und um den westlichen Staaten zu zeigen, dass wir gegen diesen Krieg ihres NATO-Partners sind.
Lasst uns alle Widerstände vereinigen – Palästina, Kongo und Kurdistan- , um eine starke Front zu bilden. Unsere praktische Solidarität wird auch die Menschen der demokratischen Selbstverwaltung in ihrem Widerstand bestärken.