Der aktuelle Wahlkampf beschäftigt ganz Deutschland.
Bei der Frage, welche Partei wir wählen sollen, werden verschiedene Aspekte diskutiert.
In Debatten und TV-Duellen wird in den Themen Migration, Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit gewetteifert.
Um internationale Politik geht es oft im Zusammenhang mit der Verteidigung Deutschlands, der Staatsräson, dem Ukraine-Krieg oder Donald Trumps Beziehungen zu China.
Aber wie sieht es eigentlich in Bezug auf Syrien und Rojava aus?
Wie positionieren sich die einzelnen Parteien zur Selbstverwaltung?
Dieser Artikel soll Antworten auf diese Fragen geben und klären, wie der deutsche Imperialismus sich in Bezug zu Syrien und die Türkei äußert.
Im Kampf gegen den Islamischen Staat 2014 trugen die kurdischen und internationalistischen Streitkräfte die Hauptlast bei der territorialen Zerschlagung des IS und haben ihn somit auch den europäischen Staaten vom Hals gehalten.
Der türkische Staat – als strategischer Partner Deutschlands – kämpft dafür, dass die AANES und die SDF, die in Erdoğans Augen als Terroristen gelten, zerstört werden. Dafür werden von der Türkei nachweislich Milizen aufgebaut und gestärkt. Die SNA (Syrian National Army) ist ein Zusammenschluss reaktionärer Milizen, die im Interesse der Türkei handeln und von ihr ausgerüstet werden. Die Besatzung Efrîns, Serêkaniyês und weiterer Gebiete waren Operationen, die der türkische Staat durchführte, um die Rojava Revolution zur Liquidation zu treiben. Dabei liefert Deutschland die Waffen, die die Türkei nutzt, um im großen Stil Kriegsverbrechen in Rojava (und auch allen anderen Teilen Kurdistans) zu begehen.
Die Leidtragenden sind hauptsächlich die Zivilist:innen.
Im Jahr 2024 lieferte Deutschland Waffen in Höhe von 230,8 Millionen Euro an die Türkei. Obwohl die letzte Regierung, die sich selbst als fortschrittlich und vielfältig bezeichnete, Abrüstung und feministische Außenpolitik versprach, wurden die Waffenlieferungen an die Türkei weder reduziert, noch eingestellt.
Vor allem die Grünen initiierten sich als Freund:innen Rojavas. So kritisierten sie oftmals die Angriffe der Türkei. In Pressestatements kamen Forderungen wie etwa ein Stopp der Angriffe der Türkei auf Rojava oder das Einstellen der Waffenlieferungen an die Türkei vor. In Interviews betonte Annalena Baerbock, auch in ihrer Amtszeit, dass die Sicherheit der Kurd:innen als Minderheit gewährleistet werden müsse.
Doch wie sehen die Taten aus?
All diejenigen, die große Hoffnungen in die Ampel-Koalition setzten, wurden – naturgemäß – enttäuscht.
Steinmeiers oder Scholz Besuche in die Türkei oder die nicht endenden Waffenlieferungen an die Türkei oder die dreckigen Deals hinter verschlossenen Türen über Abschiebungen – all das sind die Resultate der letzten Jahre.
Dies stellt weder eine Ausnahme dar, noch handelt es sich hierbei um ein neues Phänomen.
Einmal an die Macht gekommen, haben die Parteien nur graduellen Einfluss auf die strategische Ausrichtung der Staatspolitik, die tatsächliche Strategie steht schon (maßgeblich) im Vorfeld fest.
Möge eine Partei ein noch so fortschrittliches anmutendes Programm vorweisen, ab dem Moment, an dem sie den kapitalistischen Staat (mit) regieren darf, hat sie hauptsächlich den Zweck, die Interessen der Bourgeoise zu vertreten und den Menschen das Gefühl zu geben, sie hätten mit ihrer Stimme was bewirkt.
Egal, wie viele Versprechen die Grünen (oder eine andere Partei, die sich innerhalb der Schranken des Kapitalismus bewegt) tätigen – wir dürfen uns von den leeren Versprechen nicht abspeisen lassen.
Die Transformation der Grünen (ehemals noch eine Antikriegspartei, heute eine perfekt in das System integrierte Partei, die offenkundig bellizistisch-imperialistische Positionen vertritt) zeigt, wie schnell Parteien in das System integriert werden und eine 180 Grad Wendung vornehmen, um das Kapital mitverwalten zu dürfen.
Durch eine Regierungsbeteiligung der Grünen wird dementsprechend auch nie etwas Greifbares für ein revolutionäres (!) Rojava rausspringen, höchstens ein-zwei diplomatische Besuche, um Rojava zur finanzwirtschaftlichen Kolonie des Imperialismus zu verwandeln. Dann noch paar scheinheilige Veröffentlichungen zur Imagepolierung, um die Stimmen der Kurd:innen zu ergattern.Am Ende zählen die Taten, nicht die Worte
Bei der SPD sieht es nicht anders aus. Hierbei wird Rojava im Kongresspapier des Parteitages 2023 mit dem Satz “Erdoğan greift seit Monaten völkerrechtswidrig in Rojava ein und tötet Menschen.” erwähnt. Die Sozialdemokrat:innen verurteilen in einem Satz Erdoğan für sein Vorgehen, aber denken nicht einmal daran, dieser Kritik auch nur irgendeine Form von Konsequenz folgen zu lassen. In Scholz Amtszeit gab es mehrere diplomatische Besuche in der Türkei. Ganz zu schweigen von den rechten Positionen, die die SPD vertritt – sie ist nicht mal mehr eine sozialdemokratische Kraft.
Die FDP forderte nach Assads Fall eine internationale Syrienkonferenz. Lindner betonte, dass diese für die Stabilisierung Syriens im direkten (wirtschaftlichen) Interesse der internationalen Gemeinschaft ist. Deutschland und andere internationale Akteure müssen seiner Meinung nach ebenfalls einen Einfluss auf die Zukunft Syriens nehmen können. Als Partei des Neoliberalismus ist sie für die Arbeiter:innen und Unterdrückte des Systems nicht wählbar.
Die CDU spricht primär im Zusammenhang von Abschiebungen über Syrien.
Als Partei, die immer offener die AFD in ihrer rechten Rhetorik zu überbieten versucht, können wir davon ausgehen, dass die CDU (als aber auch alle anderen bereits erwähnten Parteien) Abschiebungen nach Syrien vermehrt auf die Tagesordnung setzen werden.
Dass zur Zeit Alawit:innen und LGBTI+ Personen öffentlich gefoltert werden, wird die Politiker:innen nicht davor abhalten, abzuschieben – wie wir aktuell anhand des Beispiels Afghanistans sehen. In ein Land, das von den Taliban regiert wird, wird wieder abgeschoben. Die nächsten Abschiebungen stehen unmittelbar bevor.
Das BSW, welches sich als Oppositionskraft für Frieden und gegen die Altparteien darstellt, äußerte bereits unmittelbar nach dem Regierungswechsel in Syrien ähnliche Forderungen wie die AFD und CDU. Sahra Wagenknecht betonte in einem Interview: „[…] der Krieg ist vorbei, es gibt keinen Grund, generell Menschen aus Syrien in Deutschland zu behalten.“
Eine offenkundig die Interessen der klein- und mittleren Bourgeoisie vertretende Partei, die dies mit rechten Phrasen ergänzt, wird die Lage der Arbeiter:innen und Unterdrückten nicht verbessern. Die Querfront-Strategie, die versucht, das Kleinbürgertum miteinzubeziehen, dient ausschließlich den Interessen des Kapitals.
Die Linke, die bei der Palästina-Frage eine klar opportunistische Haltung an den Tag legte, hat zunehmend kritische Stimmen, die zu Recht die antideutschen Positionen innerhalb der Partei rügten, stummgeschaltet oder gleich der Partei verwiesen. Die Palästina-Frage wurde zu einer Art Gretschenfrage innerhalb der linken Bewegung Deutschlands und die Partei Die Linke scheiterte kläglich. Als Internationalist:innen steht es für uns außer Frage, nur wegen der pro-kurdischen Stimmen innerhalb der Partei über diese Schandtat hinwegzusehen. Wir zeigen uns solidarisch mit allen unterdrückten Völkern – sowohl mit dem kurdischen als aber auch mit dem palästinensischen Widerstand.
Wir haben eine ganze Welt zu gewinnen und geben uns nicht mit kleinen Stücken zufrieden – genauso haben auch die vielen Internationalist:innen den Widerstand Rojavas unterstützt und ihre Leben gegeben, damit der IS besiegt und das Selbstbestimmungsrecht der Kurd:innen in Rojava verwirklicht werden kann.
Rojava selbst, das multiethnisch ist, zeigt mit seinem Gesellschaftsvertrag, zu was die Völker imstande sind, wenn sie sich zusammentun, statt in engstirnigem Nationalismus zu verfallen.
Die Partei die Linke, die immer dann, wenn sie mitregieren durfte, sich problemlos der Politik der Kapitalisten fügte – wie zuletzt als sie sich über die Köpfe der Menschen hinwegsetzte und die Volksinitiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ hat ins Leere laufen lassen oder auch in Thürringen die Umsetzung der Schuldenbremse in den Regierungsvertrag aufnahm- kann ebenfalls keine Lösung für die antikapitalistischen und antiimperialistischen Freund:innen der Rojava Revolution sein.
Wir weisen die Wahl von bürgerlichen Parteien entschieden zurück.*
Also was tun?
Gleich nach der Flucht Assads sprach Scholz in einer Ansprache von einem „Befreiungsschlag für die Syrer:innen.“
Dass die HTS seitdem Alawit:innen und LGBTI+ massakriert hat, bleibt unerwähnt, weil die HTS sich dem westlichen Imperialismus unterordnet und Israel keine Steine in den Weg legt.
Bearbock traf sich alsbald mit Colani – dem de facto Staatspräsidenten Syriens, der zuvor innerhalb der Reihen des IS und der Al Nusra Front ranghohe Ämter belegte und als Terrorist eingestuft war -, aber über Jahre hinweg wurde die demokratische Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien politisch nicht anerkannt. Politisch entspricht das Modell des basisdemokratischen, frauenbefreienden und multiethnischen Rojavas nicht den Interessen des Westen – allen voran auch wegen der kolonialistischen Türkei, für die die Kurd:innenfrage eine Existenzfrage darstellt.
Nach einem Treffen mit dem türkischen Außenminister forderte Baerbock die Autonomieverwaltung auf, die Waffen niederzulegen und sich mit der neuen Regierung Syriens zu vereinigen.
Rojavas Entwaffnung käme -folgerichtig- ihrer Auflösung gleich.
Die westlichen Imperialisten wollen Rojava seiner fortschrittlichen Errungenschaften entledigen und es ihren Interessen entsprechend umformen – quasi auch zur Absicherung gegen einen etwaigen Umschwung seitens der HTS.
Nur ein Rojava, das ihre Interessen schützt, wäre ein Rojava, für das sie sich scheren; wollen wir aber ein Rojava, das seine Errungenschaften beibehält und weiter ausbaut, ist es unabdingbar, sich für den Erhalt der Revolution und seine offizielle Anerkennung einzusetzen.
Der deutsche Imperialismus ist der Feind der Arbeiter:innen und Unterdrückten und nur der konsequente Kampf gegen den Imperialismus als Weltsystem kann den Kurd:innen und Palästinenser:innen eine politische und ökonomische Freiheit bringen. Eine Lösung innerhalb des Kapitalismus würde dementsprechend bedeuten, dass Kurdistan und Palästina zu finanzwirtschaftlichen Kolonien der Imperialisten werden, ihre Bodenschätze ausgeraubt werden, ihr Markt für den Profit der Weltmonopole geöffnet und in das System der imperialistischen Globalisierung integriert wird, um sie dann mithilfe von Krediten in Abhängigkeit zu bringen. Ihre „Unabhängigkeit“ ist eine Farce.
Im Zuge unserer Positionierung sagen wir, dass mit der Erststimme diejenigen fortschrittlichen antifaschistischen Politiker:innen gewählt werden können, die den Handlungsspielraum linker Kräfte vergrößern. Für die Zweitstimme kommen nur Parteien in Frage, die das Kapital herausfordern, also programmatisch nicht innerhalb der Schranken des Kapitalismus Politik machen.
Die Befreiung der Arbeiter:innen und Unterdrückten liegt nicht im Kapitalismus, sondern zweifelsohne im Sozialismus.
People‘s Bridge, 22.02.2025
* Dass die AFD und andere offen faschistische Parteien unwählbar sind, sollte selbstverständlich sein und wird hier nicht weiter vertieft.