Am 26.04.2025 fand in Qamişlo die lang erwartete kurdische Einheitskonferenz statt – nach mehrmaligem Verschieben. Der Konferenz gingen intensive Diskussionen voraus. Über 400 Delegierte aus Rojava, Bakur (Nordkurdistan) und Başûr (Südkurdistan) nahmen an dem Treffen teil.
Das Vorbereitungskomitee brachte zahlreiche kurdische Parteien verschiedenster ideologischer Ausrichtung, NGOs und Persönlichkeiten zusammen. Das Fundament der Konferenz bildeten die drei zentralen Kräfte: die PYD (Partei der Demokratischen Union), die ENKS (kurdischer Nationalrat, syrischer Ableger der KDP) und die PUK (Patriotische Union Kurdistans).
Schon das Zustandekommen der Konferenz hat eine historische Bedeutung und ist ein Meilenstein in der kurdischen nationalen Willensbildung. Auch wenn er auf Rojava beschränkt war, reichte seine Bedeutung weit über Rojava hinaus. Ein einheitliches Auftreten der Kurd:innen kann dazu beitragen, den türkischen Einfluss in Rojava über die ENKS zurückzudrängen. Die ENKS, die bislang in Opposition zur PYD und QSD stand und mit der Türkei kollaboriert, geriet im Vorfeld unter Druck. Ihre Teilnahme an der Konferenz stellt somit einen politischen Erfolg dar und war ein großes Ärgernis für den türkischen Kolonialstaat.
Der Inhalt der Konferenz zeichnete weitreichende Perspektiven. In der Debatte um die zukünftige Ordnung Syriens spielt die Konferenz eine zentrale Rolle. Das Abschlussdokument enthält politische Forderungen, darunter die nach einem föderalen Syrien. Diese übertrifft das bisherige Abkommen zwischen der HTS und der QSD, in dem Föderalismus keine Rolle spielte. Die Konferenz forderte zudem die verfassungsmäßige Anerkennung aller Minderheiten. Damit wurde ein Standpunkt formuliert, der über die kurdische Frage hinausreicht und sich für die Rechte aller Nationen, Ethnien und Glaubensgemeinschaften Syriens einsetzt.
Die Konferenz fand in einem hochvolatilen regionalen Kontext statt. In dieser Übergangsphase in der Neuformierung der Region versuchen alle politischen Kräfte, ihre Position zu festigen. Die inneren Widersprüche in Syrien werden sich weiter zuspitzen. Die islamistische HTS ist derzeit nicht in der Lage, ihr eigenes volksfeindliches politisches Programm durchzusetzen, geschweige denn über ganz Syrien zu herrschen. Im Süden des Landes halten die Auseinandersetzungen zwischen den Drus:innen und der HTS-Regierung an. Forderungen nach Unabhängigkeit werden in drusischen Kreisen zunehmend lauter.
Die HTS hält weiterhin an der Vision eines arabischen Zentralstaats fest und weigert sich, den verschiedenen Völkern Syriens Autonomierechte zuzugestehen. So erklärte Ahmed al-Scharaa unmittelbar nach der Konferenz, dass man keine „separatistischen Kantone“ dulden werde. Diese Haltung steht dem kolonialen Kurs der Baath-Diktatur in Nichts nach. ein chauvinistisches, zentralistisches Modell, das den Realitäten Syriens nicht entspricht.
Die USA haben als Vermittler zwischen den verschiedenen kurdischen Aktuer:innen fungiert und somit auch an der Realisierung des Treffens mitgewirkt. Es muss konstatiert werden, dass die USA hierbei ihre eigenen Interessen verfolgen. Sie möchten im Falle eines Kurswechsels der HTS zu ihren Ungunsten einen vertrauenswürdigen Partner in Syrien haben, um ihren Machteinfluss nicht zu verlieren. Die Führung der demokratischen Selbstverwaltung soll das Pendant zur kurdischen KDP aus Başûr (Südkurdistan) werden und ihre Interessen in Syrien wahren. Dass auf die imperialistischen Mächte kein Verlass ist, dürfte allgemein bekannt sein und im Falle der Kurd:innen bestätigte sich dies zuletzt als die USA 2018 eigenständig ihre Truppen aus Rojava abzog. Im Anschluss an den Rückzug nutzte die Türkei die Gunst der Stunde aus, und startete eine Militäroffensive, um Afrin, Girê Spî und Serekaniye zu annektieren.
Unsere Aufgabe ist es, die Rolle der fortschrittlichen Kräfte innerhalb des auf der Konferenz gegründeten Verhandlungskomitees zu stärken. Die Initiative der antiimperialistischen und sozialistischen Organisationen wie die TKŞ (Revolutionäre Kommunistische Bewegung) muss gestärkt werden. Denn nur so kann ein demokratisches Syrien, ein Land, das von imperialistischen und regional-kapitalistischen Mächten wie Aasgeier umkreist wird, den Weg in eine freie und gerechte Zukunft finden.
People’s Bridge, 05.05.2025